Michel Houellebecq – Die Hörspiel-Box

Der Audio Verlag hat in dieser Box vier Hörspieladaptionen des erfolgreichen und umstrittenen Autors veröffentlicht.

In „Ausweitung der Kampfzone“ begleiten wir den EDV-Fachmann Michel auf einer Geschäftsreise, während deren Verlauf er uns an seiner misanthropen Weltsicht teilhaben lässt. Das Ganze ist von Martin Zylka („Der goldene Handschuh“, „Die drei Sonnen“) stimmig inszeniert und hat mit Sylvester Groth einen überzeugenden Hauptdarsteller, wirkt aus heutiger Sicht aber oft zu gewollt provokant. Ja, Michel wird in seiner permanenten Arschlochigkeit bisweilen sogar unfreiwillig komisch.

„Elementarteilchen“ führt uns ins Jahr 2079, wo ein Chronist über die Leben der beiden Brüder Michel und Bruno berichtet. Michel ist sozial gehemmt, aber ein akademisches Genie. Bruno ist von Komplexen beladen und erlebt im Lauf seines Lebens immer wieder schwere Niederlagen. Außerdem leidet er zunehmend unter seiner Sexbesessenheit.
Das Hörspiel und der zugrunde liegende Roman gehören zu meinen absoluten Favoriten.
Regisseur Leonhard Koppelmann macht aus der Geschichte eine wahrhafte Tour de Force. Bruno, wunderbar gespielt von dem Schauspieler Hans Kremer, eilt gewissermaßen von einer Demütigung zur nächsten.
Aber auch Michels (Michael Tregor) Leben verläuft nicht minder trostlos, und als endlich eine Erlösung zu nahen scheint, schlägt das Schicksal erbarmungslos zu.
Es gibt wenige Hörspiele, die ich öfter gehört habe als „Elementarteilchen“, aber manche Szenen lassen mich auch nach dem x-ten Hören immer noch erschaudern.
Es gibt zum Beispiel einen Suizid gegen Ende des Hörspiels. Die Szene dauert etwa drei Minuten, aber am Ende der Sequenz habe ich jedes Mal einen Kloß im Hals.
Ein absolutes Ausnahmehörspiel. Schwer verdaulich, aber bei aller Tragik durchdrungen von einer geradezu umwerfenden Schönheit.

„Plattform“ ist wohl das am leichtesten zugängliche Stück der Sammlung.
Michel (Sylvester Groth) macht eine „Kulturreise“ nach Thailand. Er lernt eine Mitreisende kennen und lieben und entwickelt mit ihr ein Konzept für eine neue Form von Cluburlaub, bei der die Touristen auch sexuell auf ihre Kosten kommen sollen.
Man hat Houellebecq oft sein Frauenbild vorgeworfen, und in der Tat ist die Figur der Valérie (Nele Müller-Stöfen) ein devotes und dauergeiles Püppchen, und Michel hat ziemlich laxe Ansichten zum Thema Prostitution.
Aber ich bin der Meinung, dass ein Autor seinen Romanfiguren alles erlauben und ermöglichen darf und muss. Rückschlüsse auf den Charakter des Verfassers sind da wenig hilfreich.
Zudem liefert das Thema Sextourismus auch die Möglichkeit für einige satirische Spitzen, und den beteiligten Schauspielern (Christian Redl, Jürgen Tarrach, Ulrich Noethen) die Möglichkeit zu starken Leistungen.
Dass das alles nicht gut ausgehen kann, wird sich der geneigte Houellebecq-Hörer schon denken können.

„Unterwerfung“, die Geschichte um ein Frankreich, das in der nahen Zukunft von einer liberalen Moslempartei regiert wird, ist ein anstrengendes Stück Arbeit. Francois, der Held der Geschichte, muss sich aufgrund der neuen Verhältnisse entscheiden:
Will er seinen Lehrstuhl an der Uni behalten, muss er zum Islam übertreten.
Das Buch erlangte traurige Berühmtheit, denn am Erscheinungstag fand der Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris statt.
Houellebecq, der sich zuvor schon oft islamkritisch geäußert hatte, zog sich daraufhin aus der Öffentlichkeit zurück.
In „Unterwerfung“ bleibt allerdings die große Katastrophe aus. Die Geschichte ist keine Abrechnung mit dem Islam. Sie enthält viele satirische Elemente und mit Francois eine Hauptfigur, die sich mehr und mehr mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren scheint.
Regisseur Leonhard Koppelmann hat das Stück hochkarätig besetzt, etwa mit Samuel Weiss in der Hauptrolle und mit bekannten Hörspielstimmen wie Chistian Redl, Wolfram Koch und Johann von Bülow in Nebenrollen.
Leider bleibt inmitten vieler philoophischer Diskurse und Monologe aber die Spannung ziemlich auf der Strecke.
Und ja, Houellebecq scheint seinen Biss verloren zu haben.

Insgesamt sei die Box aber allen Freunden anspruchsvoller Hörspielunterhaltung unbedingt empfohlen.
Allein „Elementarteilchen“ lohnt schon die Anschaffung. Zudem waren drei der Hörspiele schon seit langer Zeit nicht mehr im Handel erhältlich.

Weitere Infos gibt es auf der Verlaggseite.

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